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Erschwerte Vorsatzanfechtung bei Lieferanten

Apr 13, 2022   //   by tkorn   //   Insolvenzrecht  //  No Comments

Der BGH nutzt in seiner Entscheidung (BGH, Urteil vom 10.02.2022 – IX ZR 148/19) die Möglichkeit hinsichtlich der Anforderungen des § 133 InsO sowohl die Voraussetzung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz als auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners weiter zu konkretisieren.

Der BGH fordert einen genaueren Blick auf die Entwicklung der konkreten Gesamtumstände mit Bezug zur Liquiditätslage. Für Insolvenzverwalter bedeutet dies, dass sie aufgrund der sekundären Darlegungslast künftig noch umfassender auch zu dem Zeitraum nach einer bereits eingetretenen Zahlungseinstellung vortragen müssen.

Für Anfechtungsgegner ist das nun festgehaltene Erfordernis einer Kenntnis der Liquiditätslage beim Anfechtungsgegner, die ihm eine Prognose zur Entwicklung der Liquiditätslage ermöglicht, von erheblicher Bedeutung. Dies soll bereits dann regelmäßig fehlen, wenn lediglich das Zahlungsverhalten im Verhältnis zum jeweiligen Anfechtungsgegner bekannt ist. Für Lieferanten und Dienstleister ist dies zur Abwehr von Anfechtungsansprüchen eine gute Nachricht, da die Durchsetzung einer Vorsatzanfechtung damit erheblich erschwert ist.

Das Urteil hat folgende Leitsätze:

  1. Wird die Verbindlichkeit, welche die Annahme einer Zahlungseinstellung des Schuldners trägt, erfüllt oder gestundet, und will der Verwalter die Vermutung der Fortdauer der Zahlungseinstellung für sich in Anspruch nehmen, kann er unter dem Gesichtspunkt der sekundären Darlegungslast gehalten sein, zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners vorzutragen.
  2. Bezieht sich ein im Wesentlichen gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten des späteren Schuldners auch auf einen Zeitraum, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte, kann aus dem Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden.
  3. Einem Anfechtungsgegner, der nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber kennt, fehlt in der Regel der für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderliche Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners.

I. Sachverhalt

Über das Vermögen einer Kapitalgesellschaft wurde im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter machte gegenüber einem Dienstleister, der in einer langjährigen ständigen Geschäftsbeziehung zur Insolvenzschuldnerin stand einen Anspruch von ca. 53.000 EUR geltend. Hintergrund waren 36 Einzelzahlungen im Zeitraum ab 2013. Zu diesem Zeitpunkt hatten sowohl das Finanzamt als auch ein Sozialversicherungsträger einen Insolvenzantrag gestellt, diesen aber nach Zahlungen Dritter für erledigt erklärt. Der Dienstleister hatte keine Kenntnis von diesen zusätzlichen Umständen. Er kannte ausschließlich das seit Jahren gleichbleibend schleppende Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin.

II. Rechtliche Wertung

Der BGH traf in diesem Urteil zwei wesentliche Feststellungen.

Zum einen hielt er fest, dass die Vermutung, dass die GmbH seit dem Insolvenzantrag im Jahr 2013 zahlungsunfähig sei wegen der Gesamtumstände nicht greife. Hierbei habe zwar grundsätzlich der Anfechtungsgegner die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlung darzulegen. Der hierfür erforderliche Vortrag ist aber durch die sekundäre Darlegungslast des jeweiligen Insolvenzverwalters beschränkt. Hierbei reicht die bloß verzögerte Forderungsbegleichung nicht aus, vielmehr müssten Umstände hinzutreten, die darauf hindeuten, dass die verspäteten Zahlungen auf mangelnder Liquidität beruhten. Das Aufrechterhalten eines Zahlungsverhaltens, welches bereits vor Eintritt der Zahlungseinstellung bestand – hier die ohnehin schleppende Zahlung an Dienstleister – reicht hierfür nicht aus.

Zum anderen führte der BGH aus, dass auch nicht von der Kenntnis der Beklagten von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ausgegangen werden könne. Die Annahme einer drohenden Zahlungsunfähigkeit erfordere eine in die Zukunft gerichtete Prognose zur Finanzlage. Kenne der Anfechtungsgegner nur das Zahlungsverhalten des Schuldners ihm gegenüber, fehle es regelmäßig an den für die Prognose notwendigen Kenntnissen, die zur Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erforderlich seien. Da der Insolvenzverwalter hier keinerlei Ausführungen zu weiteren Umständen gegenüber dem Anfechtungsgegner machte, die Insolvenzschuldnerin insbesondere weder erklärte, dass sie nicht mehr zahlungsfähig sei oder von ihrem bis dahin üblichen Teilwahrheiten abgewichen sei, sah der BGH das Merkmal der Kenntnis als nicht gegeben an.

Rechtsanwältin Sarah Müller
Insolvenzverwalterin