Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über www.au-schein.de

Okt 1, 2021   //   von tkorn   //   Arbeitsrecht

In der Praxis werden Unternehmer zunehmend  mit dem Service eines Hamburger Start-ups konfrontiert, der „Online-Kranschreibungen“ per WhatsApp ohne vorherige Untersuchung ermöglicht.

Das Angebot des Hamburger Unternehmens bietet Arbeitnehmern an, aus vorgegebenen Erkältungssymptomen die bestehenden Beschwerden auszuwählen und die erwartete Krankheitsdauer anzugeben. Nachdem die Patientendaten per WhatsApp übermittelt wurden, erhält der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung zunächst digital ebenfalls per WhatsApp, aber auch im Original per Post zugesandt. Auffällig ist häufig die erheebliche Ortsverschiedenheit des behandelnden Arztes und dessen Fachgebiet.

Tatsächlich betreibt  das Hamburger start-up www.au-schein.de (jetzt wohl als Reaktion auf die Unterlassungsverfügung des OLG Hamburg : www.drAnsay.com) ein in einer rechtlichen Grauzone ein wahrscheinlich rechtswidriges Geschäftsmodell. Das BAG hat bereits 1976 entschieden (Urteil v. 11. August 1976 – 5 AZR 422/75), dass beim Fehlen einer vorherigen Untersuchung  die Bescheinigung allein die Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen kann, stattdessen müsse der Arbeitnehmer diesen Beweis mittels anderer Beweismittel erbringen. In dem streitigen Fall wurde eine Bescheinigung ausgestellt, obwohl lediglich die Ehefrau des Arbeitnehmers diesen telefonisch bei dem behandelnden Arzt krankmeldete.

Das LG Hamburg hat in einem aktuellen Urteil vom 3. September 2019 (406 HKO 56/19, bestätigt durch OLG Hamburg, Urteil vom 05.11.2020 – 5 U 175/19) grundsätzliche Zweifel an dem Geschäftsmodell des Hamburger Start-ups geäußert und mehrere Verstöße gegen medizin- und wettbewerbsrechtliche Vorschriften festgestellt. Das Konzept wird so auch aus einer anderen Perspektive in Frage gestellt und die vorstehende Argumentation auch im Hinblick auf den Beweiswert der AU-Bescheinigung bestätigt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Verweis des Gerichts auf die notwendige Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Atteste – diese erfordere grundsätzlich einen unmittelbaren Kontakt zwischen Arzt und Patient. Ohne diesen persönlichen Kontakt könne kein Arzt feststellen, ob der Patient tatsächlich an der von ihm selbst vermuteten oder behaupteten Krankheit leide. Auch könne nichts anderes für vergleichsweise leichte Erkrankungen wie Erkältungen gelten, weil die ärztliche Krankschreibung regelmäßig auch Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei. Auch die für die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit wichtige Schwere der Erkrankung könne ohne unmittelbaren persönlichen Eindruck nicht zuverlässig eingeschätzt werden.

Die vorgelegte AU-Bescheinigung hat daher keinen bzw. nur einen geringen Beweiswert. Der Arbeitgeber kann daher alternativ

  • das Entgelt für den genannten Zeitraum vorläufig sperren, da kein Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit besteht (dann müßte der Arbeitnehmer seine AU gerichtsfest beweisen, was ihm mangels Untersuchung kaum gelingen wird)
  • ggfs. wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit kündigen (wenn  belastbare Anhaltspunkte für eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit vorliegen, was aber schon die Nutzung von au-schein.de häufig impliziert)

Rechtsanwalt Dr. Thilo H. Korn LL.M.
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Insolvenzrecht